„Wir erkennen, dass egozentrische, selbstbezogene Aktivitäten schädlich, zerstörerisch sind und dass jede Form der Identifikation – beispielsweise mit einem Land, mit einer bestimmten Gruppe, einem bestimmten Wunsch, den Anstreben eines Zieles, hier oder im Jenseits, die Verherrlichung einer Idee, das Nacheifern, das Streben nach Tugendhaftigkeit und so weiter – im Grunde eine egozentrische Aktivität ist. Alle unsere Beziehungen – zur Natur, zu anderen Menschen, zu Ideen – sind das Resultat dieser Aktivität. Was soll man tun, wenn einem all das bewusst ist? Dieses ganze Bestreben muss von selbst enden – nicht durch selbst auferlegten Zwang, nicht durch Beeinflussung, nicht durch Führung von außen.“ Krishnamurti über Selbstbezogenheit aus „Schöpferische Freiheit“
Die sich selbstverzehrende Flamme
Bedürftigkeit ist das Gegenteil von Hingabe
Eine Mutter, die sich nicht gut tut, die sich nicht fühlen kann und liebt, nichts ahnt, warum ist sie eigentlich da?
Ein Vater, der sich betäubt, der sich lähmt, was ist er wert?
Eine Frau, die sich nicht frei entfalten kann und erblühen lässt, was wird sie in der Welt hinterlassen?
Ein Mann, der nicht in seiner wahren friedvollen Kraft ist, was kann er schöpferisches geben?
Ein Mädchen, was nicht zu sich und ihrem Körper im Vertrauen steht, was wird sie ausstrahlen?
Ein Junge, der nicht weiß, wo er hingehört und nicht weiß, wem er sich in seinem Wesen verschenken darf, wie wird er der Welt begegnen?
Kann ein Herz in so einem Umfeld, in so einer Welt, aufwachsen und die Chance haben, ein Mensch zu werden? Wer will dann schon Mensch sein? Wer vermag überhaupt zu erkennen, was Menschlichkeit ist?
Wenn Menschen ihren Gefühlen nicht folgen und diese nicht leben, stumpfen sie ab. Sie entgleiten ihrer wahren Bestimmung und irgendwann hören sie auf, sich zu spüren. Lässt der Schmerz sie dies immer wieder erfahren und fühlen, versuchen sie, ihre Bedürfnisse über Konsum und Macht zu kompensieren. Der Druck steigt. Es entsteht eine immer größere Bedürftigkeit, weil alles in einem Selbst scheinbar fehlt, da der Zugang nur kurzzeitig oder gar nicht mehr spürbar ist. So entwickelt sich kein Vertrauen gegenüber dieser Welt. Da sie ihm, dem Menschen, scheinbar ihre Fühlbarkeit entzogen hat. Alles wird kontrolliert, alles wird festgehalten. Was spontan gefühlt wird, drängt nach ständiger Wiederholung. Doch dieses Festhalten von dem Wenigen erzeugt – einem Staudamm gleich – neue Blockaden. Und bringt den stetig versiegenden Energiefluss restlos zum Stillstand. Der Mensch ist nicht mehr fähig, sich dem Leben zu schenken. Warum ist er dann noch da?
Kann ein Herz in so einem Umfeld, in so einer Welt, aufwachsen und die Chance haben, ein Mensch zu werden? Wer will dann schon Mensch sein? Wer vermag überhaupt zu erkennen, was Menschlichkeit ist?
Was für eine Gemeinschaft wird aus solchen Wesen erwachsen? Eine Gesellschaft voller einzelner Individualisten? Wem nutzen diese? Und ein alles und vor allem sich selbst verschlingender Kapitalismus? Jede Bedürftigkeit ist eine neue Geschäftsidee. Es wird viele Opfer geben, aber keine Überlebenden. Es wird noch mehr Täter geben, aber keine Gewinner.
Es wird so lange alles leuchten, strahlen, schreien, blubbern, blitzen und donnern bis der letzte Rest an Materie verbrannt ist.
Kann ein Herz in so einem Umfeld, in so einer Welt, aufwachsen und die Chance haben, ein Mensch zu werden? Wer will dann schon Mensch sein? Wer vermag überhaupt zu erkennen, was Menschlichkeit ist?
Marian Kretschmer, 13.August 2017